Meine Erlebnisse im 2. Weltkrieg
(1942 - 1945)

von
Josef Diepold
(im Februar 2006)



Sichtlich bewegt schilderte der "Mühlbauer Sepp" aus Großmehring
den Gratulanten. dass er auf den Tag genau vor 60 Jahren, an seinem
20. Geburtstag (20. August 1944) in russische Gefangenschaft
geraten war.     Foto: Seidl

Im Oktober 1942 wurde ich, gerade 18-jährig, zum Militär eingezogen. Ich kam gleich nach Russland und wurde in einer Kaserne bei Kiew ausgebildet (Artillerie). Wir waren zugleich Besatzung und gegen die Partisanen im Einsatz. Im Sommer 1943 kam ich dann zum Fronteinsatz ins Donezbecken. Ich habe dann die ganzen Rückzugsgefechte und Schlachten bis nach Rumänien miterlebt. Wir gingen bei Krementschuk über den Dnjepr zurück und wurden in Kirowohrad eingeschlossen (Kessel; 4 Divisionen; 3 Tage). Nach gelungenem Ausbruch zogen wir uns mit großen Verlusten über Odessa nach Rumänien zurück. Als wir dann in Rumänien waren, war vier Wochen Frontstille. Es war Ruhe vor dem Sturm, denn die russische Armee war uns zu dieser Zeit, schon hoch überlegen. Am 20. August 1944 (mein Geburtstag) kam dann der Großangriff zwischen lasi und Haisin. Es war 40 Minuten ein russisches Trommelfeuer. Von der Infanterie hat das fast keiner überlebt. Wir von der Artillerie schossen noch so lang es möglich war. Die Russen gingen dann zum Angriff über. Sie kamen dann mit einer Masse Soldaten und Panzern. Wir mussten unsere Geschütze stehen lassen und stiften gehen. Leider gelang das nicht allen von uns. Die ganze Südarmee ,wurde in Rumänien abgeschnitten. Wir irrten dann hinter der russischen Front umher und beschlossen dann, nach Süden zu gehen, die Donau zu überqueren und nach Bulgarien zu flüchten. Wir versteckten uns bei Tag in Maisfeldern, denn überall waren Russen. Man konnte bei Tag kaum eine Straße überqueren, denn die Russen waren im Vormarsch. Wir waren eine Gruppe von acht Mann. Wir marschierten dann nur bei Nacht. Zu Essen hatten wir nur Maiskolben und Wasser. Wir entdeckten einmal auf einem Bahngleis im Freien abgestellte Wagons mit Zivilisten. Es waren Volksdeutsche, die im letzten Moment noch nach Deutschland wollten. Sie gaben uns zu Essen und Zivilkleider. Sie sagten wir können bei ihnen bleiben. Wir hatten in der Nähe der Wagons im Maisfeld übernachtet. Bei Tagesanbruch brachten sie uns zu Essen und sagten, die Russen haben bei Nacht die Wagons durchsucht und sagten, wenn sie Soldaten verstecken werden sie erschossen. Wir gingen dann weiter und mussten ein paar Mal einen Fluss überqueren, denn die Brücken waren gesprengt oder bewacht. Es war brütend heiß. Ich hatte nur noch ein Hemd und eine Hose und war barfuß. Wir kamen runter bis zur Baragansteppe. Als wir uns bei Tag in einem Maisfeld versteckt hatten, kamen wir durch Zufall mit 30 deutschen Soldaten zusammen. Wir hatten höchstens noch 10 oder 15 Kilometer zur Donau, da wurden wir von den Russen entdeckt und gefangen genommen. Wir wurden dann in den nächsten Ort geführt, wo eine russische Einheit stationiert war. Es kam ein Offizier und ein Dolmetscher. Sie sagten uns, wir werden nun zu einer Sammelstelle geführt. Wenn ein Mann stiften geht, werden 10 Mann erschossen. Wir mussten einen Tag marschieren. Es kamen unterwegs immer wieder deutsche Soldaten dazu. Wir bekamen nichts zu Essen und Trinken. Rumänische Frauen haben am Wegrand einige Eimer Wasser gestellt, aber die Rassen haben sie umgestoßen. Wir waren dennoch froh, dass die Gefangennahme so zustande kam, denn wir hatten alle Angst erschossen zu werden. Man wusste 1944 noch nicht genau, was die Russen mit deutschen Gefangenen machen. Im ganzen Fronteinsatz, den ich miterlebt hatte, war immer unser Gedanke alles, bloß keine russische Gefangenschaft.

Unterwegs kamen wir bei einem russischen Gefangenenlager vorbei, wo einige hundert Russen, die nun frei waren von ihren Kameraden Uniformen bekamen. Unsere Wachposten mussten uns von ihnen schützen, die hätten uns gelyncht. Den Russen, die in deutscher Gefangenschaft waren, ging es sehr, sehr schlecht. Als wir dort bei der Sammelstelle ankamen, waren .schon einige 1 000 deutsche Gefangene dort. Wir wurden wieder durchsucht, ob wir noch Uhren, Messer, Feuerzeuge oder Ringe hatten. Das haben uns die ersten Russen schon abgenommen. Es kam dann ein Deutscher in zivil. Es war ein Kommunist aus Stuttgart und er hielt uns einen Vortrag. Er sagte uns, wir dürfen nicht böse sein, wenn uns die Russen Uhren und Ringe abnehmen, die wir in Polen, Frankreich, Holland und Norwegen· gestohlen hatten. Fünf Jahre seid ihr im Dreck gelegen und jetzt wollt ihr böse sein, weil ihr ein paar Tage nichts zu essen habt. Als die Nazis an die Macht kamen, musste er aus Deutschland fliehen und war während dem deutschen Vormarsch in Sibirien.

Es wurde dann eine Kolonne mit 6 000 Mann zusammengestellt, um nach Norden, nach Galati zu marschieren, dort den Fluss Pruth zu überqueren, auf russischer Seite nach Riwne zu gehen, wo ein großes Gefangenenlager war. Es waren schreckliche sechs Tage, bis wir dort ankamen. Wir wurden in Hundertschaften· eingeteilt. 100 Mann ein deutscher Offizier. Ich war bei Nummer 23. So wurden wir dann in Marsch gesetzt. Es war brütende Hitze und Staub und Sand. Abends wurde Halt gemacht und wir saßen oder lagen die ganze Nacht im Staub. Wenn wir Brot bekamen dann für 15 oder 20 Mann ein Brot. Wir wussten oft gar nicht, wie wir teilen sollten. Mit Draht hatten wir das Brot zersägt, denn wir hatten kein Messer mehr. Manchmal erwischten wir was von den rumänischen Zivilisten. So kam es, dass viele von uns aus Erschöpfung zusammenbrachen. Man versuchte sie mitzuziehen, aber es ging nicht. Wir waren alle am Ende unserer Kräfte. Alle, die liegen blieben und noch nicht tot waren, bekamen den Gnadenschuss. Wir hörten immer wieder diese schrecklichen Schüsse. Es waren mindestens 20%, die bei diesem Marsch ihr Leben lassen mussten.

Ich war immer noch barfuß, aber ich konnte dadurch mit weniger Kraft marschieren, als mit den schweren Stiefeln. Es kamen in Rumänien ungefähr 100 000 deutsche Soldaten in Gefangenschaft. Als wir in Riwne ankamen, waren schon 15 000 dort. Von hier aus wurden Gefangene per Bahn nach Russland transportiert. Wir waren ein paar Tage dort, bis wir an der Reihe waren. Wir bekamen ein paar Mal gekochte Maiskörner um nicht zu verhungern. Es kam dann unser Zug. Alles große Wagons. In jeden Wagon mussten 100 Mann. Wir mussten in vier Reihen nebeneinander sitzen, um Platz zu haben. Die Fahrt nach Samara (Kuibyschew) dauerte 11 Tage. Es war eine Luft im Wagon zum Ersticken. Es war gut, dass keiner etwas im Magen hatte, denn wenn der Zug anhielt konnte keiner raus. Es war alles verschlossen ..Während der Fahrt starben zwei Mann und die wurden erst nach ein paar Tagen rausgeholt. Ein paar Mann, die ein Messer durchbrachten, versuchten in der Mitte vom Wagon ein Loch durch den Holzboden zu kratzen. Die ersten Tage bekamen wir überhaupt nichts zu essen. Dann stellten sie einfach zwei Eimer Suppe herein und verschlossen die Wagontüre wieder. Als Essgeschirr hatten wir eine 800g Blechbüchse (Konservenbüchse). Es war schwierig zu verteilen. Nicht jeder bekam etwas.

Als wir dort ankamen waren wir so schwach, dass die meisten ohne Hilfe nicht mehr aus dem Wagon klettern konnten. Es war 15 oder 20 Kilometer östlich von Kuibyschew. Dort war ein russisches Straflager. Es wurde ein Teil für uns geräumt. 9 Holzbaracken. Im anderen Teil waren lauter Russen, auch Frauen. Wir waren 1 500 Mann und wurden in die Baracken verteilt. Wir lagen dann auf Brettern, die einen oben, die anderen unten, nebeneinander wie die Heringe. Ohne Decke und ohne Kissen. In jeder Baracke war ein gemauerter Ofen. Wir bekamen dann alle alte russische Uniformen. Durch die Unterernährung war unsere Haut zusammengeschrumpft. Wir schauten wie eine frisch gerupfte Gans aus. Neben dem Straflager war ein großer Steinbruch. Wir wurden dann in Arbeitsbrigaden eingeteilt. Jede Brigade 30 Mann und einer von uns Brigadeführer. Nach ein paar Tagen ging es dann zum Steinbruch. Uns wurde dort die Arbeit erklärt. 75 Schubkarren, Steine mit Eisen und Pickel abbrechen, 70 bis 80 Meter zum Wagen fahren und aufladen. Das war die Norm für 5009 Brot am Tag. Zu Essen bekamen wir in der Früh eine Krautsuppe und ein Stück Brot und abends das Selbe. Es dauerte nicht lange, dann ging das große Sterben los. Jeden Tag 3 bis 6 Mann. Manchmal sogar mehr. Die versuchten, die Norm zu erfüllen, waren als erstes dran, denn mit ein paar Löffeln Kraut und ein Stück Brot kann man nicht schwer arbeiten. So vergingen Tage und Wochen und es wurde bald sehr kalt (-20°C - -40°C). Wir bekamen da schon Vliesjacken und Stiefel.

Im Lager waren zwei jüdische Ärztinnen, die für uns Gefangene da waren. Sie konnten uns nicht viel helfen, denn sie hatten weder Medikamente, noch andere ärztliche Möglichkeiten. Aber sie standen immer am Lagertor, wenn wir zum Steinbruch gingen. Wenn einer schlecht angezogen oder keine Handschuhe hatte, den zogen sie heraus. Durch ihre Fürsorge haben sie manchen Deutschen das Leben gerettet. Wir wussten nicht mehr, ist es Samstag oder Sonntag, denn es gab auch nicht mehr oder etwas anderes zu Essen. Alle 10 Tage hatten wir einen Tag frei. Die starben wurden einfach in die Mitte vom Lager auf den Boden oder Schnee und Eis gelegt. Nicht weit vom Lager war ein Hügel, Macharatscha wurde er genannt. Dort konnten wir die Toten begraben. Wir hatten ein kleines Pferd, einen Zwei-Radkarren und einen Schlitten, worauf wir die toten Kameraden legen konnten. Meist waren es 5 - 7, Mann, die der kleine Schimmel hinaufzog. Man grub einen schmalen Graben, wo wir dann die toten nackt aufeinander hineinlegten. Es waren ja nur noch Haut und. Knochen. Oben kamen dann noch 20 oder 30 cm Erde darauf. Wenn der Boden gefroren war, wurde erst ein Feuer gemacht, damit man überhaupt graben konnte. Als dann die große Kälte kam, ging auch das nicht mehr. Sie lagen nackt gefroren, wie ein Stein aufeinander und jeden Tag wurden es mehr. Bis dann die Kälte nachließ und wir sie begraben konnten. Wir waren namentlich nicht registriert. Es gab nur Zahlen, bei den Lebenden und bei den Toten. Bei allen, die tot waren, wusste man nicht, wer es war.

Mir hat einer aus Augsburg gesagt, dass in der Lazarettbaracke Nr. 7 einer aus Manching liegt. Ich bin dann abends in die Baracke gegangen. Es war stockdunkel drin, denn wenn die Krautsuppe verteilt war, wurde der Strom abgeschaltet. Ich schrie dann: ,,Ist hier einer aus Manching?" Es rührte sich einer mit schwacher Stimme. Ich ging dann hin. Die Kameraden waren mir behilflich und zündeten Holzspäne an, dass ich ihn sehen konnte. Als ich ihn liegen sah, merkte ich, dass es sehr schlecht mit ihm stand. Er sagte mir, dass er ein Zauner aus Manching sei und eine kleine Landwirtschaft mit zwei Kühen habe. Ich bin dann am nächsten Tag wieder hingegangen. Dann sagten mir die Kameraden, den haben wir schon hinausgetragen. Er ist gestorben. Als ich nach Hause kam, sagte ich seiner Mutter, wie es war. Sie hat dann später einen Trauergottesdienst lesen. lassen.

Die im Steinbruch noch arbeiten konnten, wurden immer weniger. Viele konnten aus Schwäche nicht mehr arbeiten. Auch ich wurde immer schwächer und bin dann bei der Arbeit im Steinbruch aus Schwäche ohnmächtig zusammengebrochen. Es war zum Glück kurz vor Feierabend, sonst wäre ich erfroren. Die Kameraden legten mich dann neben die Werkzeughütte und wollten mich bewegen und reiben, damit ich nicht erfriere. Aber die Russen trieben sie wieder zur Arbeit und sagten, Pan (Mann) kaputt. Aber sie versuchten wieder, dass sie mich bewegen und reiben konnten. Ich habe das alles nicht mitbekommen. Sie sagten- es mir am nächsten Tag. Als dann Feierabend war, haben sie mich aufgehoben, aber ich konnte meine Füße nicht bewegen. Sie trugen mich dann wie einen Frosch ins Lager zur Ärztin. Ich war dann arbeitsunfähig und kam am nächsten Tag in die Lazarettbaracke . Ich konnte am nächsten Tag wieder gehen, aber beide große Zehen waren gefühllos. Ich bekam Blasen und die Zehennägel gingen ab. Sie waren ziemlich erfroren. Ich hatte mit den Zehen lange zu tun, aber ich konnte sie erhalten. Viele haben sich die Nase erfroren. Die wurde dann gelb und platzte auf. Das gleiche bei den Füßen und niemand konnte helfen. Inzwischen war das ganze Lager stark verlaust. Es gab keine Entlausung und wenn es finster wurde, kamen auch noch die Wanzen aus den Bretterritzen.

Inzwischen war das ganze Lager stark verlaust. Es gab keine Entlausung und wenn es finster wurde, kamen auch noch die Wanzen aus den Bretterritzen. Die zwei jüdischen Ärztinnen kamen dann weg und es kam ein deutscher Arzt. Ebenfalls ein gefangener Kamerad. Durch den Hunger wurde viel gestohlen. Wenn man das Brot nicht gleich gegessen hat und es aus den Augen ließ, war es gestohlen. Das war besonders für die Kranken schlimm, denn manche Kameraden gingen aus Hunger unmenschlich vor. Der Arzt ließ uns alle antreten und sagte, er wolle das abschaffen. Der erste, der als Brotdieb erwischt wird, den lässt er verhungern. Das hat er auch gemacht. Nach vier Tagen war der Brotdieb tot. Ich habe es selbst gesehen. Es wurde dann weniger gestohlen, aber abschaffen konnte man das nicht. Der Hunger war zu groß.

Auch in der Lazarettbaracke lagen wir auf Brettern, die einen oben, die anderen unten. Ich lag hier unten. Als einmal Wasser von oben kam, glaubte ich, der oben hat Wasser verschüttet. Ich schrie und nahm ihn bei den Füßen, die oben bei den Brettern hervorstanden. Er rührte sich nicht. Er war verstorben und hat Wasser gelassen.

Einer von uns stellte sich einmal in die Mitte der Baracke und sagte, er sei evangelischer Pastor und wird versuchen uns eine Predigt zu halten, denn durch die Unterernährung sei auch der Geist schwach. Er machte es sehr gut und wir hörten alle andächtig zu. Er sagte dann, an Weihnachten, das kurz vor der Tür stand, werde er wieder eine kurze Predigt halten. Das konnte er nicht mehr, denn er ist noch vor Weihnachten gestorben.

Am Heiligen Abend kam dann der Lagerkommandant mit einem Dolmetscher in die Baracke und sagte, wir sollen singen. Wir sagten zum Dolmetscher, sie sollen uns erschießen. Das sagte er dem Kommandant. Er sagte dann gar nichts und ging hinaus. Er hatte vorne keine Zähne und am Unterkiefer war etwas nicht gut. Er sagte einmal, er war eine Zeitlang in deutscher Gefangenschaft und die deutschen Soldaten haben ihm m.it den Gewehrkolben die Zähne eingeschlagen. Wir nannten ihn nur Barackenschreck. Nicht alle Lager waren so schlecht. Inzwischen haben sie etwas Sojamehl rn die Krautsuppe gemischt. Es wurde etwas besser.

Im Steinbruch wurden die Gefangenen immer weniger. Viele sind gestorben und viele waren zu schwach. Anfang Februar wurde ich wieder zur Arbeit eingeteilt. Am 20. Februar war dann eine Zählung und wir wurden nun namentlich auf einer Liste aufgenommen. Wir wurden auch befragt, was wir Zuhause besitzen. Nach ein paar Tagen sagte- uns der deutsche Lagerführer, dass bis jetzt schon über 700 gestorben seien. Alle ohne Namen. Am Anfang war das Lager überfüllt. Nun war es halb leer. Mitte März 1945 kam ich dann von dem Lager weg.

Im Lager war noch Plögl Josef aus Uttenhofen, bei Pfaffenhofen. Er war noch einer von meiner Kompanie. Ich sagte ihm, dass ich jetzt wegkomme. Er sagte, wenn wir heimkommen, dann komm ich zu dir und schlachte ein Schwein. Aber er ist nicht mehr Heim gekommen.

50 Gefangene kamen nach Buguruslan, das ist 200 Kilometer östlich von Kuibyschew (Samara). Dort ist ein großes Ölfeld. Es wurde dort ein Lager für Gefangene aus Ungarn errichtet und wir mussten den Zaun machen. Hier war es besser. Ein Mann wurde krank und ist gestorben und einer ging stiften und wollte von einer Brücke aus auf einen langsam einfahrenden Zug springen. Er ist tödlich verunglückt.

Anfang Mai kamen wir dann weg, · aber nicht mehr zum Steinbruch, sondern ins Hauptlager nach Kuibyschew (Samara). Als am 8. Mai der Krieg aus war, waren wir schon dort. Viele Russen waren vom Wodka betrunken und haben in die Luft geschossen. Am nächsten Tag mussten wir antreten und der Russische Lagerkommandant kam und sagte auf Deutsch, Deutschland bankrott, zu Wasser, zu Meere, zu Lande und Luft. Nicht nur die Russen, auch wir waren erleichtert, als nun der Krieg aus war, denn wir spürten, ihr Verhältnis zu uns wurde besser.

Es war ein großer Rüstungsbetrieb hier, wo hauptsächlich Maschinengewehre hergestellt wurden. Wir waren in einer großen Halle mit 1 550 Mann untergebracht. Es war hier nicht schlecht und es starben hier sehr wenige. Es waren hier große Produktionshallen, wo Waffen hergestellt wurden. Den Abfall hatten sie während des ganzen Krieges einfach nach Außen transportiert und hinter den Hallen liegen lassen. So kam es, dass die Halden 3-4 Meter hoch wurden. Alles Splitt aus Drehbänken und Bohrmaschinen. Wir mussten den verrosteten Splitt mit Pickel abhacken und mit Holzträger auf die Eisenbahnwagon transportieren. Ein russischer Arbeiter sagte uns einmal, es seien beim Rückzug viele Maschinen aus Ukraine und Donezgebiet abgebaut und im sicheren Gebiet aufgebaut worden, so haben auch wir hier viele Maschinen bekommen. Es wurde neben den bestehenden Hallen einfach eine Betonfläche errichtet, die Maschinen aufgestellt und sofort produziert. Die Seitenwand und das Dach kamen erst später. So kam es, dass ich einmal bis zu den Knöcheln im Schnee stand und an der Drehbank arbeitete.

Der Fluss Samara fließt hier in die Wolga und als er einmal Hochwasser hatte, fuhr ein Schiff mit Kohle über Ufer auf Überschwemmungsgebiet und ging auf Anker. Wir mussten dann mit Schaufel oder mit der Hand bei Tag und Nacht die Kohle einfach ins Wasser werfen. Als das Wasser dann zurückging, lag die Kohle frei da. Es spielte keine Rolle, wenn ein großer Teil mitweggeschwemmt wurde.

Nicht weit vom . Lager entfernt war eine große Ziegelei, die im Krieg geschlossen war. Die wurde wieder in Betrieb genommen. Ein paar hundert Mann mussten die Arbeit übernehmen. Wir gingen in der Früh hin und abends zurück. Es wurde in zwei Schichten gearbeitet. Bei Nacht mussten Volksdeutsche Frauen, aus der Ukraine, die Arbeit übernehmen. Sie sagten uns, sie seien beim deutschen Einmarsch alle mit Viehwagons nach Osten transportiert worden. Wir konnten es gar nicht glauben, dass Deutschland den Krieg begonnen hatte. Vorher waren wir gut gesinnte Leute und über Nacht waren wir Deutsche Feinde. Wir durften mit ihnen nicht reden, aber manchmal gelang es doch. Es war eine neuartige Ziegelei. Eine Ringziegelei. Es wurde ringsum gebrannt. Auf der einen Seite mussten wir die Lehmziegel stapeln, auf der anderen Seite mussten wir die heißgebrannten herausnehmen und in der Mitte brannte das Feuer. So ging es ringsum. Die, die vorne mit Handschuhen die heißen Ziegel entnehmen mussten, wurden alle Stunde abgelöst. Wenn wir in der Früh das Lager verließen, wurden wir am Tor gezählt. Das dauerte oft sehr lange und manche setzten sich seitlich am Graben hin, so auch ich, und schliefen ein. Als ich wach wurde, schliefen neben mir noch zwei Kameraden, die ich dann weckte. Die Kolonne war längst draußen und das Tor war verschlossen. Wir meldeten uns dann beim deutschen Lagerführer und glaubten, er werde uns bei den Russen nicht melden, denn es waren ja noch mehr im Lager. Er meldete uns und die Russen sagten, wir müssen als Strafe am nächsten Tag ohne Ablösung den ganzen Tag die heißen Ziegel entnehmen. Als wir am nächsten Tag die Ziegel entnahmen, dauerte es nicht lange, dann hat es von uns dreien einen nach den anderen umgelegt. Wir durften einfach nicht abgelöst werden. Mich trugen sie dann hinaus und legten mich auf den Boden hin. Es war Mitte August, ein Regentag und eigentlich kalt. Ich wurde dann krank und bekam Ruhr. Wenn einer die Ruhr bekam, war es meist der sichere Tot, denn es gab auch hier keine Medikamente. Es dauerte drei Wochen. Ich hab die Krankheit Ruhr wohl überstanden aber ich war so schwach, dass ich alleine nicht mehr gehen konnte.

Am 20. August hatte ich Geburtstag. Ich wurde 21. Es war ein schlechter Geburtstag. Im September kamen dann die Ersten nach Hause. Es wurden 30 Mann ausgesucht, die auch in Zukunft nicht mehr arbeitsfähig sein werden. Ich war nicht dabei, weil ich nicht transportfähig war. Im Oktober wurden wieder 50 MaRn ausgesucht. Da war ich dabei. Wir gingen zum Bahnhof. Da stand ein großer Zug mit lauter deutschen Gefangenen. Es kam dann der Transportoffizier und schaute jeden von uns an, ob wir transportfähig sind. Einer musste hier bleiben. Er war aus Zwickau. Er war zu schwach.

Nun ging es in Richtung Heimat. Wir waren 10 Tage unterwegs. Nach ein paar Tagen, wurde einer krank. Es ging ihm jeden Tag schlechter. Als wir das merkten wollten wir wissen, wie er heißt und wo er zu Hause ist. Seine Stimme war dann so schwach, dass wir . nur noch herausbrachten, dass er ein Maler aus Berlin ist, aber seinen Familiennamen konnten wir nicht mehr verstehen. Er ist dann gestorben und wurde auf einem Bahnhof begraben. Als wir nach Polen kamen, haben die Russen die Wagontür verschlossen, denn sie warfen auf die Deutschen Steine. Für uns alle war es ein freudiges Gefühl, als wir in Deutschland, in Frankfurt an der Oder ankamen. Wir bekamen einen russischen Entlassungsschein und waren frei. Aber nur für die Ostzone. Wir sollten dann noch mal in ein Lager und warten, bis wir mit Gefangenen aus dem Westen ausgetauscht werden. Ich hatte Angst, noch mal in ein Lager zu gehen. Dieser Ansicht waren mehrere. So habe ich mich mit zwei Kollegen besprochen, dass wir schwarz über die Grenze nach Westen gehen.

Wir fuhren mit dem Zug zu einer Grenzstation und gingen Nachmittag los. Es war viel Waldgebiet. Als wir schon ziemlich weit marschiert waren, wurden wir vorsichtig, denn wir ahnten schon, dass wir jetzt im Grenzgebiet sein könnten. Wir gingen im Wald und kamen zu einem Waldweg. Wir blieben stehen und überlegten, was wir nun machen. Wir kamen zu dem Entschluss, dass wir den Waldweg hintereinander überqueren. Mein Kollege rannte als erster. Ich hinterher. Als ich in der Mitte vom Weg war, sah ich rechts, wo der Weg eine kleine Anhöhe hatte, einen Russen stehen. Er schrie sofort stoi (halt). Ich sprang zurück in den Wald, rannte nicht weit und versteckte mich hinter einem großen Baum. Der Russe hatte seine MP in Umhang und konnte mich gleich erschießen. Der zweite Kollege, der noch weiter hinten war, merkte das und blieb auch hinter einem Baum stehen. Ich schaute dann vorsichtig ein wenig hinter dem Baum heraus und sah, wie der Russe mit der MP im Anschlag, der nur zu mir in den Wald schaute, hin und her marschierte. In den Wald hinein ging er nicht. Wir harrten hier aus, bis es dunkelwurde. Dann gingen wir einfach los. Wir gingen ein paar Stunden dann sahen wir von weitem ein Licht. Wir gingen in die Richtung weiter, kamen dort an und fragten ob wir im Osten oder im Westen seien. Ein Mann sagte uns, ihr seid schon im Westen. Geht jetzt ein Stück vor, da ist eine Rotkreuzstelle. Dort bekommt ihr Kaffee und Brot. Als ich die Tür aufmachte und reinging, hat mich der erste Kollege schon erwartet. Er hat mich umarmt und gesagt, du hattest großes Glück. Er sagte, dass er im Gras am Straßenrand lag und der Russe sich so auf mich konzentriert hatte, dass er ihn gar nicht gesehen hat.

Als wir dann mit der Bahn Richtung Heimat weiterfuhren, sprach mich ein Heimkehrer an wo ich hinfahre. Ich sagte Ingolstadt, Großmehring. Er sagte er sei aus Pförring und wolle mit mir fahren. Er war sehr schwach. Sein Name war Haberl und er war 42 Jahre alt. Wir kamen abends in Ingolstadt an und kamen noch nach Großmehring. Am 9. November 1945 war ich dann endlich wieder Zuhause. Als ich an der Tür klopfte, kam meine Schwester und meine Mutter und fragten, wer draußen sei. Ich sagte meinen Namen und sie erkannten mich sofort an der Stimme, obwohl ich 15 Monate vermisst gemeldet war. Die Freude war natürlich sehr groß.

Der Haberl ist am nächsten Tag nach Pförring heimgefahren. Ich hab ihn einmal besucht. Er war schwer krank und ist nach sechs Wochen gestorben. Auch ich musste ins Krankenhaus. Durch die lange Unterernährung hatte ich einen Herzmuskelschaden, hatte Wasser im Körper (Bauch) und auch die großen Zehen, die ich erfroren hatte machten noch Schwierigkeiten. Ich war damals 21 Jahre. Ich habe mich eigentlich nach kurzer Zeit erholt und wurde auch wieder völlig gesund.


In diesem Mantel und mit den selbst gemachten Schuhen
aus alten Autoreifen kam ich am 9. November 1945 zu
Hause in Großmehring an.